Und hier zum Schluss noch mein bisher größtes literarisches Werk.

Meine Weihnachtsgeschichte

Zuerst möchte ich Euch sagen, dass ich es wichtig finde, dass Ihr die Weihnachtsgeschichte, so wie sie uns von Lukas und Matthäus in der Bibel berichtet ist, kennt. Dass Ihr sie gern spielen sollt und dabei all die Lieder singen könnt, die dazu entstanden sind. Es ist eine wunderschöne Geschichte. Ich komme am Ende noch einmal darauf zu sprechen.

Denn es ist so ziemlich der einzige Tag im Jahr, wo in der Kirche fast immer Theater gespielt wird und wo die Kirche so gut besucht ist, dass man ganz zeitig kommen muss, um einen Platz zu bekommen. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten für Euch, auch mal einen mächtigen König, einen Hirten, einen Engel oder einen Wirt zu spielen. Ohne viel Werbung werden Euch Hunderte zuhören, und in diesen Geschichten wird ganz viel Weisheit verpackt sein. Auch Erwachsene können daraus lernen.

Aber Ihr solltet wissen, dass die Geburt Jesu, die Mittelpunkt der Krippenspiele ist, nicht so war wie in einem der Krippenspiele oder in der Geschichte von Lukas oder Matthäus. Natürlich weiß auch ich nicht genau, was damals wirklich geschah, aber meine Gedanken kommen dem wirklichen Geschehen ein Stückchen näher.

Die Geschichte beginnt damit, dass ein etwa 13jähriges Mädchen schwanger wird und nicht sagen möchte, wer der Vater des Babys ist. Die Weihnachtsgeschichte insgesamt ist also eine ziemlich ernste Sache. Vielleicht könnt Ihr das erst verstehen, wenn Ihr selbst 13 Jahre alt seid.

Zwar war es vor etwa 2.000 Jahren, als die Geschichte spielte, üblich, dass man ziemlich zeitig heiratete und Kinder kriegte – nicht wie heute erst mit 30 Jahren – , aber 13 war auch damals ziemlich zeitig. Und eigentlich heiratete man erst, bevor man das erste Kind bekommen wollte.

Heute ist es nicht mehr schlimm, wenn eine Frau erst ein Kind kriegt und dann heiratet, aber damals war das anders. Ein uneheliches Kind konnte bedeuten, aus der Familie ausgestoßen zu werden oder mit der Todesstrafe Steinigung bestraft zu werden. Maria war in einer ziemlich schwierigen Situation.

Es wäre das Beste gewesen, wenn sie schnell den Mann geheiratet hätte, der ihr Baby gezeugt hatte. Aber das ging offenbar nicht.

Es gibt Situationen im Leben einer Frau, da kann sie den Namen des Mannes nicht sagen. Heute sind diese Fälle bei uns zum Glück selten, aber wenn der russische Dorfkommandant im Mai 1945 heimlich über Eure bildhübsche Urgroßmutter (damals 32 Jahre alt) hergefallen wäre und dabei ein Kind entstanden wäre, dann wäre es äußerst unklug gewesen, wenn sie das im Dorf umher posaunt hätte. Das wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Todesurteil gewesen. Es war das Klügste, es niemandem zu erzählen, auch nicht ihren Eltern – und 50 Jahre lang auch nicht dem Kind.

Jede Ausrede war besser: „Ich weiß es nicht.“ „Ich war zu betrunken.“ Ich gebe zu, dass „Es war der Heilige Geist“ die abenteuerlichste aller Ausreden ist, aber damals bei Maria hat sie funktioniert.

Ich denke, im Falle von Maria war es der römische Dorfkommandant. Wenn sie ihn verraten hätte, hätte er sie in Stücke zerteilt. Römische Soldaten durften alles.

Maria hat nicht nur überlebt, weil sie den Erzeuger ihres Kindes verschwiegen hat, sondern weil sie in Joseph einen wirklich guten Freund hatte. Nach den damaligen Regeln hätte auch er allen Grund gehabt, Maria zu verstoßen, nachdem er von der Schwangerschaft hörte und sich eine Frau zu suchen, die noch nicht schwanger ist. Joseph war anders.

Joseph war Widerstandskämpfer. In späteren Zeiten hat man solche Leute Freischärler, Partisanen, Untergrundkämpfer, Konterrevolutionäre, aber auch Terroristen genannt. Je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet.

Joseph kämpfte gegen die römische Besatzungsmacht. In den Bergen hatten sie ihr Zuhause. Sie wollten nicht, dass römische Soldaten die jüdischen Mädchen vergewaltigen. Sie wollten auch keine Steuern zahlen für diese Besatzungsmacht und dachten gar nicht daran, sich in Steuerlisten einzutragen. Sie wollten ihr Land befreien und in Frieden selbstverwaltet und im Einklang mit ihrem Gott leben.

Dazu dienten vorrangig nächtliche Undercover-Aktionen. Immer auf der Flucht vor den Römern, die sie selbstverständlich fassen wollten. Sie waren Flüchtlinge im eigenen Land.

Joseph und Maria immer mit dabei. Maria mit dickem Bauch. Zurück in die Berge. Römische Soldaten mit Fackeln und Pferden hinter ihnen her.

Plötzlich setzen die Wehen ein. Was soll jetzt werden? Eine kleine leere Hütte der Schafhirten dient als Raum für eine Geburt: Ein gesundes, zufriedenes, stilles Kind wird geboren.

Aber die Geburt hat Zeit gekostet. Jetzt sind die römischen Soldaten schon zu hören. Wenn sie geschnappt werden, ist das der sichere Tod für alle drei. Innerhalb einer Minute muss eine Entscheidung getroffen werden.

Es ist die schwerste Entscheidung, die eine Mutter je treffen kann: Ihr Kind allein zurück lassen, um (vielleicht) sein und ihr Leben zu retten. Sie fliehen, mit Tränen und schlechtem Gewissen. Bestimmt wird Gott ihr Kind bewahren. Für Joseph und Maria ist es gerade noch einmal gut gegangen. Auch das Kind war still. Die Soldaten haben nichts bemerkt.

Den Hirten in der Gegend ist jedoch nicht entgangen, dass die Aufständischen den Weg in die Berge nahmen und dass Soldaten die Gegend absuchten. Mitten in der Nacht allein mit Schafen. Dazu der Lärm der Soldaten. Als Hirte konnte man schon auch ganz schön Angst haben.

Nun war es wieder still. Jetzt hören sie ein Weinen aus der Hütte, in die sie sich bei Regen manchmal zurückziehen. Sie öffnen vorsichtig. Da ist niemand. Nur ein Kind. Ein winziges Baby. Blitzschnell schießt es ihnen durch ihren Kopf: Das kann nur ein Kind der flüchtenden Widerstandskämpfer sein.

Wenn jetzt die Soldaten wieder vorbei kommen und das Kind sehen, dann wird es eng für sie. Dann werden die Römer vermuten, dass sie mit den Geflohenen zusammenarbeiten. Das wäre ihr Todesurteil. Es war eine bedrohliche Situation für die Hirten. Die einzige Chance: Flucht nach vorn. Das Kind sofort zur Kommandantur bringen und sich von der Aktion distanzieren. Aber das tun sie nicht.

Sie versorgen das Kind mit ein paar Tropfen Schafsmilch, sie wickeln es in ein Schaffell ein. Es schläft wieder ein. Sie halten ihre Angst und das Kind aus.

Später werden sie sich auch noch an den Mann erinnern, der aus dem Nichts auftauchte und „Fürchtet euch nicht!“ sagte. Im Morgengrauen beobachten Joseph und seine Freunde die Hütte. Immer wieder geht einer der Hirten hinein und spricht dann mit den anderen. Die Luft scheint rein zu sein. Dann holt Joseph beherzt das Neugeborene aus der Hütte und bringt es einer glücklichen Maria mit vollen Brüsten.

Maria, Joseph und der kleine Jesus lebten noch ein paar Monate in den Bergen. Sie überlegten, ob es nicht besser wäre, zurück in eines der Dörfer zu gehen und so zu leben wie alle anderen. Doch da erreichte sie die Nachricht, dass der König alle Kinder unter 2 Jahren töten ließ. Jetzt war keine Rückkehr ins bürgerliche Leben mehr möglich. Jetzt entschlossen sie sich zur Flucht ins Ausland, nach Ägypten.

Die Tötung dieser Kinder unter 2 Jahren hing übrigens damit zusammen, dass plötzlich Astronomen im Königshaus auftauchten mit der Botschaft, dass ein neuer König geboren sei. Das hatten sie den Sternen entnommen. Zu dieser Zeit näherten sich die Planeten Jupiter und Saturn so nahe an, dass sie mit bloßem Auge als ein Stern erschienen. Und das dreimal hintereinander innerhalb weniger Wochen. So etwas kommt nur aller 900 Jahre vor. Nach damaligem Verständnis musste das eine weltgeschichtliche Bedeutung haben.

Letztlich haben sie Recht behalten: Jesus wurde später verehrt wie ein König und erlangte weltgeschichtliche Bedeutung. Nur Herodes, der damals König war, hatte zu diesem Zeitpunkt kein Kind gekriegt und fürchtete einen Nebenbuhler. Deshalb der Befehl zum Kindermord. Vor solch einem grausamen Despoten kann man nur fliehen.

Dass Jesus, den die Christenheit später verehrt, sein erstes Lebensjahr überlebt hat, ist ein großes Wunder. Maria war eine tolle Frau. Es ist richtig, dass sie seit 2.000 Jahren verehrt wird. Joseph war ein toller Mann. Auch die Hirten waren mutig. Und viele andere haben den Dreien geholfen.

Später ist Jesus hingerichtet worden, obwohl er - im Gegensatz zu seinem Vater - nur mit friedlichen Mitteln gegen die Römer gekämpft hat. Aber um ein Haar wäre er schon kurz nach seiner Geburt getötet worden: Gott hatte es nicht leicht, als Mensch zur Welt zu kommen.

Zu Weihnachten erinnern wir uns daran. Weihnachten soll ein Geburtstagsfest der Liebe und des Friedens sein. Dazu solch eine grausame und dramatische Geschichte zu erzählen, ist nicht schön. Wir können ruhig auf die bekannte Geschichte zurückgreifen.

Aber jetzt wisst Ihr, wie es wirklich gewesen sein könnte.

Euer Großvater

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